Wenn die Vagina NEIN sagt
Reden wir darüber!
Kennst du das aus deinem Leben, dass deine Vagina (oder deine Vulva) nein sagt, wenn der Finger, der Penis oder etwas anderes am Weg in die Vagina ist, und mit Schmerzen reagiert oder mit totalem Verschließen? Wenn du das erlebst oder es Phasen in deinem Leben gegeben hat, in denen du das erlebt hast, dann möchte ich dir hier zuallererst sagen, dass du nicht die Einzige bist. Leider sprechen wir viel zu wenig über dieses Thema. Viele Frauen meinen darum, sie sind „nicht richtig“ und die einzige Betroffene. Dieses leider oftmals gut behütete Tabu kann für Frauen und Paare sehr belastend sein.
Chronische Schmerzen beim Sex werden in der Sprache der Mediziner als Dyspareunie bezeichnet (Blogartikel folgt). Das Verschließen der Vagina nennt man medizinisch Vaginismus. Der Übergang ist fließend. Beim totalen Verschließen der Vagina ist das Aufnehmen eines Penis, des Fingers, eines Tampons, des gynäkologischen Spekulums oder anderer Objekten gar nicht möglich oder äußerst schmerzhaft.
Was geschieht im Körper wenn sich die Vagina verschließt?
Es geschieht eine unwillkürliche Kontraktion der Muskeln um die Vagina herum, die die Vagina so verschließen, dass es nicht möglich ist etwas in die Vagina aufzunehmen, oder nur unter starken Schmerzen. Meist verspannen sich auch die Muskeln im Gesäß, in den Oberschenkeln und im Bauch krampfartig. Die Frau entscheidet das in diesem Moment nicht selbst, es ist eine unwillkürliche Reaktion der Muskulatur.
Warum verkrampft die Muskulatur?
Die hohe Beckenbodenspannung dient dem Körper als Schutz. Sie ist eine unwillkürliche Schutzreaktion, die also nicht „dysfunktional“ ist, sondern für den Körper durchaus sinnvoll. Unser Körper reagiert sehr sensibel – auch auf Dinge, die uns selbst vielleicht gar nicht bewusst sind, oder zu denen wir aus verschiedenen Gründen nicht hin sehen wollen. Außerdem speichert unser Körper Verhaltensmuster in seinem Körpergedächtnis, auf die er immer wieder „zurückgreift“, obwohl sie vielleicht zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht mehr notwendig wären (mit wiederholten Übungen können wir diese körperlichen Verhaltensmuster natürlich wieder umlernen).
Mögliche Gründe der Enge:
- Angst vor Verletzung, Schmerz und Zerstörung
- Angst auf Grund von unangenehmen und überfordernden (oder auch traumatischen) Erfahrungen
- Angst vor einer Schwangerschaft und Mutterschaft
- Ekel oder Scham oder auch Angst vor dem eigenen Geschlecht
- Probleme in der Partnerschaft
- Stressige Lebensphasen
- Phasen großer Trauer
- Als Folge von Schutz vor Schmerzen in der Vulva und/oder Vagina, auf Grund von chronischen Harnwegsinfekten, bakteriellen oder viralen Infektionen, Pilz-Ungleichgewicht, Hauterkrankungen, wenig Feuchtigkeit oder dünne Schleimhaut in der Vagina z.B. auf Grund von Östrogenmangel (Vieles davon kann aber auch die Folge eines bereits stark verspannten Beckenbodens sein!)
Was kannst du tun um in deiner Vagina wieder aufnehmen zu können?
Der aller erste Schritt ist: Sprich darüber! Mit deinem Partner, deiner Partnerin, mit deiner Freundin, deinen Freunden, in einem Sexualcoaching/einer Sexualtherapie, in Gesprächskreisen oder einer Selbsthilfegruppe.
Ebenso ist es wichtig, eine medizinische Untersuchung zu machen, in der du herausfinden kannst, ob du chronische Harnwegsinfekte, Infektionen, ein Pilz-Ungleichgewicht, Hauterkrankungen, wenig Feuchtigkeit oder dünne Schleimhaut in deiner Vulva oder Vagina hast, die dir Schmerzen bereitet. Das kannst du behandeln um wieder eine schmerzfreie und erfüllte Sexualität zu leben.
Wurde jedoch medizinisch nichts gefunden, dann können – je nach deiner Lebenssituation und genauen Thematik – folgende Schritte für dich hilfreich sein:
Körperliche Lernschritte
- Wahrnehmungsübungen um dich und deinen Körper besser wahrzunehmen
- Mittels Beckenbodenübungen zu lernen deine Beckenbodenmuskeln willkürlich anzusteuern, so dass du (wieder) lernst, sie selbstermächtigt anzuspannen und los zu lassen. Lerne, mit deinen Beckenbodenmuskeln zu spielen und sie geschmeidig und beweglich zu halten
- Bauchatmung üben, eventuell Entspannungstechniken lernen (Yoga, Autogenes Training, Achtsamkeitsübungen …)
- Bewusst Bewegung in deinen Körper bringen (Becken, Brustbereich …)
- Dich mit deiner Vulva und deiner Vagina (wieder) vertraut machen und eine (neue) Beziehung zu deiner Vulva, Vagina und Gebärmutter aufbauen
- Deine sexuelle Lust in der Selbstberührung (wieder) finden
- Schrittweise die Vulva und Vagina (wieder) mit deinen Fingern und dir lieben Objekten besuchen
- Wenn du einen Partner hast: Mache dich in weiterer Folge mit seinen Fingern und seinem Penis vertraut, und lade ihn Schritt für Schritt ein, deine Vulva und deine Vagina langsam und achtsam zu besuchen
Gleichzeitig
- Deine sexuelle Geschichte (auch die deiner Mutter und deiner Großmütter) anschauen
- Dich in deiner Weiblichkeit und deiner Autonomie stärken
- Die Wahrnehmung deiner Bedürfnisse und deiner Grenzen stärken, und üben herauszufinden wann du ein klares Ja und wann du ein klares Nein hast, und es auch aussprechen
- Üben, auf die Signale deines Körpers zu achten
- Die Rolle der Frau bei der sexuellen Vereinigung neu besetzten (aktiv mitgestaltend …)
- Deine Schamgefühle und Tabus erforschen (Wo hast du zu viel davon und es macht dich eng, und wo gehst du vielleicht über deine ganz natürliche Schamgrenze drüber, die dein Innerstes beschützen würde?)
- Deine Glaubenssätze beleuchten und wenn nötig umformulieren
- Deine Ängste erforschen
Die Gute Nachricht
Mit ausreichend Übung, Motivation und einer ganzheitlichen Herangehensweise kannst du deinem Körper und dir Neues beibringen. Du kannst lernen (wieder) selbst die Kontrolle über deine Beckenbodenmuskeln zu übernehmen, dich (wieder) mit deiner Vulva, Vagina und Weiblichkeit vertraut zu machen und so zu einer erfüllten Sexualität finden. Grundlegend ist, dass wir über dieses Thema offen sprechen um es zu enttabuisieren und den Menschen damit auch zeigen, dass es Möglichkeiten und Wege gibt, um wieder in ein körperliches Wohlbefinden zu kommen und dass es im Sexualcoaching/der Sexualtherapie auch beherzte und professionelle Begleitung für diesen Weg gibt.