Pornografie und Bewusstheit

Wie Pornokonsum unsere Sexualität beeinflusst

 

Wir leben in einer Zeit, in der der Zugang zu Pornografie einfacher ist als jemals zuvor. In unserer digitalen, vernetzten Welt steht uns Pornografie über das Internet jederzeit unbegrenzt zur Verfügung. Die Auswahl von Inhalten, Praktiken und Darstellungen ist grenzenlos. Doch die Auswirkungen von Pornokonsum auf unsere Sexualität und Intimität sind vielen Menschen nicht bewusst. Darum möchte ich in diesem Artikel erläutern, wie Pornografie unsere Sexualität und unser Leben beeinflussen kann und welche Schritte wir unternehmen können um einen gesunden und bewussten Umgang damit zu finden.

Was haben Pornos mit der Realität zu tun?
Hast du dir schon mal die Frage gestellt: Wozu werden Pornos gemacht?
Ja richtig! Sie werden ausschließlich dafür produziert um sexuelle Erregung zu stimulieren. Die meisten Pornos haben nichts mit gelebter, erfüllter Sexualität und realen sexuellen Begegnungen zu tun. Es sind lediglich (zumeist) oberflächliche Inszenierungen um verlässlich und schnell sexuelle Erregung zu erzeugen.

Die meisten Pornos haben sehr wenig bis gar nichts mit der Realität zu tun: Männer haben riesengroße Penisse mit Dauererektion, Frauen wollen immer, und einfach alles und kommen natürlich auch immer sofort. Die Auswahl von gezeigten Vulven ist sehr eingeschränkt (nein, wir Frauen haben nicht alle die selbe Vulva, sondern jede Vulva ist höchst individuell und wundervoll einzigartig). In „gewöhnlichen“ Pornos gibt es keine Gefühle, keine Intimität, keinen echten Blickkontakt, keine genussvolle Sinnlichkeit. Es geht ausschließlich um oberflächliche Geilheit und Erregung.

Pornokompetenz
Als Sexologin möchte ich hier den Impuls geben, dass du, wenn du Pornos anschaust, „Pornokompetenz“ entwickelst.

Wähle bewusst, was du dir ansiehst und was nicht. Es gibt ein breites Repertoire, du kannst heute bereits aus ALLEM wählen. Es gibt auch Pornos in denen du Paare siehst, die sinnliche Sexualität miteinander leben, Pornos in denen es keine gewaltvollen Handlungen gibt und in denen keine Menschen erniedrigt werden. Achte auch auf das Alter der DarstellerInnen und hinterfrage, ob du tatsächlich (scheinbar) Minderjährige in solchen Settings sehen möchtest.

Konsumiere reflektiert, beobachte dich selbst dabei. Nutze Pornos bewusst und zielgerichtet. Das hilft dir dabei, dass dein Gehirn die Szenen nicht unreflektiert speichert und damit in weiterer Folge im Unbewussten deine Sexualität steuert – weg von Spürfähigkeit, Sinnlichkeit und echter Verbundenheit. Schaust du regelmäßig, unreflektiert und unbewusst Pornos, können sich Automatismen einschleichen, aus denen du vielleicht nicht so leicht wieder heraus kommst. Dadurch kann sich deine Spürfähigkeit, dein Lustempfinden, deine Beziehungsfähigkeit und die Art deiner sexuellen Begegnungen verändern. Zusätzlich können daraus sexuelle Probleme resultieren.

Sex im Gehirn versus gelebte Sinnlichkeit im Körper
Du kannst im Gehirn durch Pornos einen hohen Erregungslevel erzeugen, ohne dass du deine Sinnlichkeit, deinen Körper dafür einsetzt. Beim „Porno-Schauen“ erlebst du die Reize vor allem visuell über deine Augen. Deine Aufmerksamkeit liegt nicht auf deinen sinnlichen, körperlichen Empfindungen, sondern auf den Bildern am Bildschirm und in deiner Vorstellung. Das bedeutet, du erlebst den Sex im Kopf und immer weniger in deinem Körper. Wenn du das häufig machst, stumpft dein Körperempfinden und dein sinnliches Lustempfinden ab. Damit de-sensibilisierst du deinen Penis/deine Vulva und Vagina, deine erogenen Zonen und deinen Körper als Ganzes. Ein de-sensibilisierter Körper spürt weniger, die Erektionsfähigkeit kann abnehmen, Orgasmus-Schwierigkeiten, frühzeitige Ejakulation und auch geringeres Lustempfinden können Folgen davon sein.

Porno-Sex versus reale Begegnung
Die meisten Menschen die Selbstbefriedigung ausschließlich mit Pornos vollziehen, erregen ihren Körper auf die selbe Art und Weise:

  • Die Hand (oder ein Vibrator) stimuliert mit mehr oder weniger Druck das Geschlecht in monotonen Auf- und Ab- oder Rubbel-Bewegungen.
  • Der übrige Körper wird nicht berührt, ist starr und angespannt.
  • Die Atmung ist flach und kurz, um den Orgasmus herum wird der Atem vielleicht gänzlich angehalten.
  • Die Aufmerksamkeit liegt nicht bei den körperlichen Empfindungen, sondern bei den Bildern im Außen und im Kopf.

 

Wenn du das über lange Zeit unbewusst praktizierst, wird dieser Modus der Erregung zu deinem Automatismus. Wenn du mit diesem Automatismus auf einen realen Menschen triffst, spürst du beim gemeinsamen Sex wenig bis gar nichts mehr, weil du ganz andere Berührungen und auch kein Spüren mehr gewohnt bist. Deine eingeübte Art dich zu erregen ist nicht mehr kompatibel mit einer realen sexuellen Vereinigung. Was dir und euch dann vielleicht noch bleibt ist: „Ich besorge es dir und du besorgst es mir“. Dabei ist die emotionale Verbundenheit wahrscheinlich nur gering bis gar nicht vorhanden.

Zusätzlich hast du dir vielleicht durch den häufigen, unreflektierten Pornokonsum deine emotionale Verbundenheit beim Sex generell abgewöhnt. In deiner Gefühls- und Gedankenwelt haben sich die pornografischen Bilder eingeprägt. Dadurch interessiert dich im Sexualakt die Geilheit der Situation viel mehr als der Mensch, der gerade mit dir ist. Dieser Mensch wird dann – wie im Porno – auswechselbar, und das treibt dich immer weiter weg von einer echten intimen Begegnung.

Pornos, Erwartungen und Stress
In den meisten Pornos wird Vieles verzerrt und extrem geil dargestellt. Wenn du das nicht hinterfragst, kann dir das in echten Begegnungen Stress machen. Leistungsdruck und Versagensangst schleichen sich ein. Vielleicht schämst du dich für deinen Penis, deine Vulva, weil sie anders aussehen als die retuschierten, überdimensionierten und immer gleichen Geschlechtsteile im Porno. Die unreflektierten Bilder im Kopf machen dir Stress. Und Stress ist einer der sichersten Gegenspieler zu einer erfüllten Sexualität. Vielleicht geht dadurch beim Sex mit einem anderen Menschen irgendwann gar nichts mehr. Damit wird die Sexualität mit anderen Menschen und reale Begegnungen immer weniger interessant, und vielleicht ersetzt du sie schlussendlich vollständig durch Masturbation mit Pornografie.

Gewöhnung, Sucht und Abhängigkeit
Durch unreflektierten, häufigen Pornokonsum kann es auch zu „Pornosucht“ kommen, die das sexuelle Erleben und die zwischenmenschliche Nähe beeinträchtigt und meistens auch sexuelle Problematiken mit sich bringen. Der Mensch ist abgestumpft, spürt seinen Körper immer weniger, sein Lust- und Erregungssystem ist durcheinander gebracht: er hat Erektions-, Ejakulations- oder Orgasmus-Probleme und/oder Lustlosigkeit, weil er sehr starke Stimulierung braucht um in ein Lustgefühl zu kommen. Seine sexuelle Selbstsicherheit leidet. Schamgefühle, innere Leere, depressive Verstimmungen, Konzentrationsschwierigkeiten, soziale Zurückgezogenheit und Beziehungsprobleme können auf der psychischen Ebene mit einer Pornosucht einher gehen.

Chancen der Pornografie: Sind Pornos per se schlecht?
Pornos sind nicht per se schlecht, sie können für spezielle Fragestellungen und in speziellen Situationen auch positiv für unsere sexuelle Entwicklung genutzt werden. Das Wichtige dabei ist wiederum, dass wir Pornografie mit Bewusstheit nutzen und reflektiert betrachten. Entscheide klar, was du dir ansiehst. Du kannst gezielt auswählen und es gibt neben all den „harten Inszenierungen“ auch Rubriken wie „Soft-Pornografie“, „ethische Pornografie“ oder „feministische Pornografie“. Sei dir bewusst darüber, warum du pornografisches Material anschaust, mit welchem Fokus und mit welchem Ziel.

Mögliche Zielsetzungen bei reflektierter, bewusster Betrachtung:

  • Abbau sexueller Tabus
  • wenn du gerade lernst dir sexuelle Lust zu erlauben und sie zu entdecken
  • um dir Inspiration und neue Ideen für deine Sexualität zu holen, sexuelle Fantasien zu erkunden, dein sexuelles Repertoire zu erweitern (mit dem Hintergrund, dass du das, was du in der Porno-Inszenierung siehst für deine reale Welt adaptierst und mit dem Hintergrund, dass du ganz bewusst auswählst, was du dir ansiehst und was nicht)
  • um deine eigenen Wünsche und Vorlieben besser zu verstehen, oder auch um deine eigene sexuelle Identität zu finden
  • um die offene Kommunikation über Sexualität mit dem eigenen Partner*der eigenen Partnerin oder auch anderen Menschen zu üben und verbessern

 

Tipps für einen achtsamen Umgang mit Pornografie

  • Mache dir bewusst, dass Pornografie inszenierte Erregung ist und in den meisten Fällen nicht die Realität wieder spiegelt. Übernimm die Bilder aus den Pornos nicht unreflektiert. Fokussiere dich auf reale Ziele und Erwartungen für dein erfülltes Sexualleben.
  • Nimm dir Zeit um deine eigenen Gefühle und Motive in Bezug auf Pornografie zu hinterfragen. Warum nutzt du sie? Was ist dein Fokus? Sei ehrlich zu dir selbst!
  • Hinterfrage die Ethik hinter den Pornos die du konsumierst. Werden Menschen erniedrigt? Gibt es Tendenzen zu gewaltvollen Handlungen? Hast du schon einmal hinterfragt, wie es den Porno-DarstellerInnen in den harten Inszenierungen ergeht? Meinst du, die machen das alle freiwillig? Willst du das wirklich durch deinen Konsum unterstützen und diese Bilder in dein System herein holen und vielleicht unbewusst in deinem Gehirn festigen?
  • Beobachte: Wie fühlst du dich nach dem Pornokonsum? Hat dir das, was du dir angeschaut hast gut getan? Was haben die Bilder/Filme mit dir gemacht? Reflektiere bewusst darüber.
  • Sei dir bewusst, dass Pornokonsum nicht deine emotionalen Bedürfnisse stillt – versuchst du das (bewusst oder unbewusst), ist eventuell der Weg in die Pornosucht nicht weit. Deine emotionalen Bedürfnisse kannst du nur in der echten Begegnung mit dir selbst und mit anderen Menschen nähren.
  • Achte darauf, dass dein Pornokonsum nicht zur Ersatzbefriedigung wird und du deine eigene körperliche, sinnliche Intimität mit dir selbst, sowie deine emotionalen Beziehungen zu andern Menschen vernachlässigst. Finde eine Balance die dir – und wenn du in einer Beziehung bist, deinem Partner*deiner Partnerin gut tut.
  • Wenn du in einer Partnerschaft bist, sprich offen mit deiner Partnerin*deinem Partner über die Nutzung von Pornografie und höre dir die andere Sichtweise an. Eine ehrliche und respektvolle Kommunikation kann dabei unterstützen, euch besser kennen zu lernen und eure Grenzen und Vorlieben zu erkunden und einen gemeinsamen Weg zu finden.

 

Fazit
Unbewusst konsumierte Pornografie kann deine Sexualität, deine Sinnlichkeit und deine zwischenmenschlichen Beziehungen beeinträchtigen. Wenn du Pornografie konsumierst, wähle bewusst aus, was du dir ansiehst und schaue bewusst. Unterscheide das Inszenierte von der Realität (vielleicht sogar mit einem Augenzwinkern) und verliere deinen Anspruch an eine erfüllte, sinnlich erlebte Sexualität nicht aus den Augen: Nur in deinem Körper kannst du echte Sinnlichkeit und Ekstase – mit dir selbst und mit anderen – erLEBEN.

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